Am Beginn meiner kleinen Serie von Artikeln zu
Boehringer-Ingelheim Biberach (ehemals Thomae) gibt dieser Text eine
kurze Übersicht über die Firma.
Wem gehört Boehringer Ingelheim?
Die zwanzig größten Pharmafirmen der Welt sind bis auf eine alle
Aktiengesellschaften. Die einzige Ausnahme bildet die Nummer 17, Boehringer
Ingelheim, die den Familien Boehringer und von Baumbach gehört. Das
Manager-Magazin führt in der Liste der 100 reichsten Deutschen des Jahres
2002 drei Personen als Eigentümer des Konzerns, nämlich Erich von
Baumbach, Albert Boehringer und Otto Boehringer. Ihr Vermögen wird mit
jeweils 4,1 Milliarden Euro angegeben.
Eine andere Meinung vertritt der Genethische Informationsdienst. Dort steht in
Heft 133, Hoffmann LaRoche habe 1997 Boehringer-Ingelheim übernommen.
Vermutlich liegt das ansonsten gut informierte Blatt damit aber falsch. Das
amerikanische Magazin Forbes berichtet, daß LaRoche 1997 Boehringer
Mannheim erworben habe.
Erich von Baumbach war jedenfalls laut Boehringer-Ingelheim Homepage bis 2000
Vorsitzender des Gesellschafterausschusses des Konzerns. Zum Jahreswechsel
2001 wurde er durch Heribert Johann, bis dahin Sprecher der Unternehmensleitung,
abgelöst. Dessen Nachfolger ist sein bisheriger Stellvertreter Rolf
Krebs.
Die Stellung der ehemaligen Firma Thomae im Boehringer-Ingelheim
Konzern
Anfang der 90er Jahre hat die damalige Unternehmensleitung von der Boston
Consulting Group eine weitreichende Umstrukturierung erarbeiten lassen. Im Zuge
dieses Umbaus verlor Thomae die chemische und einen Großteil der
pharmazeutischen Produktion. Im Gegenzug hat man die gentechnische Produktion in
Biberach konzentriert, zumal hier schon seit 1986 der Wirkstoff t-PA in der
"größten Produktionsanlage für Arzneimittel aus
Zellkulturen in Europa" hergestellt wurde.
Darüber hinaus ist Biberach ein bedeutender Forschungsstandort des
Konzerns mit dem Schwerpunkt auf der Entwicklung gentechnischer
Produktionsverfahren. Besonders eng ist die Kooperation mit dem Standort Wien,
wo Boehringer-Ingelheim im konzerneigenen Institut für molekulare
Pathologie (IMP) schwerpunktmäßig gentechnologische
Grundlagenforschung und Krebsforschung betreibt.
Die größte Zellkultur
Seit nunmehr 15 Jahren besteht Boehringer-Ingelheim darauf, in Biberach Europas
größte und weltweit die zweitgrößte
"Zellkulturproduktionsanlage" zu betreiben. In Produktionsfermentern
von sagenhaften 12,5 m3 Volumen werden mittels gentechnisch
manipulierter Zellen pharmazeutisch verwendbare Eiweiße hergestellt.
Aventis, ehemals Hoechst, produziert in Frankfurt mit
genmanipulierten Bakterien in 40 m3 großen Fermentern, und in
der Tat dürfte das dort hergestellte Insulin auch etwas häufiger
über den Apothekentisch wandern als beispielsweise Actilyse oder
Beneseron.
Der Unterschied zwischen den beiden Anlagen besteht nun aber nicht nur in der
Größe der Fermenter, sondern auch in der Art der verwendeten Zellen.
Boehringer-Ingelheim Biberach verwendet nämlich Säugetierzellen,
insbesondere aus den Eierstöcken einer chinesischen Hamsterart gewonnene
Zellen(CHO-Zellen), und in dieser Spezialdisziplin ist der Standort
hier tatsächlich zusammen mit Genentech (USA) weltweit
führend. Genentech ist übrigens ein bevorzugter Kooperationspartner
von Boehringer-Ingelheim.
Teure Gentech-Medizin
Die Produktion von Medikamenten mittels genetisch manipulierter Organismen ist
technisch aüßerst kompliziert und teuer. Daher konnte die
Pharmaindustrie bisher nur wenige Produkte, z.B. Insuline, auf dem Markt gegen
die billigeren konventionell hergestellten Konkurrenzprodukte durchsetzen.
Manche Mittelchen erwiesen sich freilich als konkurrenzlos, wie etwa das bei
Radrennfahrern beliebte EPO. Andere Produkte, darunter auch Boehringers erste
große Gentech-Hoffnung t-PA, gelten heute aufgrund ihres Preises nur
mehr als Reservetherapeutika. Wieder andere, anfangs als wahre Wundermittel
angepriesene Stoffgruppen (z.B. Interferone) haben in der Praxis
ihren Glanz weitgehend verloren.
Mit öffentlichen Geldern großzügig geförderte
Genforschungseinrichtungen entdecken laufend neue "vielversprechende"
Wirkstoffe, während ihnen sowohl Produktionskapazitäten als auch die
zum Bau solcher Anlagen nötigen Gelder fehlen. Analysten schätzen,
daß deshalb schon 2004 die Nachfrage nach gentechnischen
Produktionskapazitäten das Angebot um das vierfache übersteigen wird.
Boehringers Strategie auf dem Weltmarkt
Die mit dem mangelnden Verkaufserfolg der im eigenen Haus entwickelten
Gentech-Medikamente entstandenen Überkapazitäten stellten sich im
Nachhinein geradezu als Glücksfall dar. Boehringer-Ingelheim Biberach
wandelte sich zum weltweit vermutlich bedeutendsten Anbieter von freien
Gentech-Produktionskapazitäten. Von der Auftragsentwicklung
"bio"technologischer Verfahren ber die Auftragsproduktion bis hin zum
kompletten Arzneimittel inclusive Durchführung medizinischer Studien und
Zulassung des Medikaments bei den zuständigen Behörden reicht das
Angebot.Unter dem Titel "Time to market approach" bietet der Konzern
auf seiner homepage sogar ein Turbo-Verfahren an, bei dem diese Schritte
möglichst gleichzeitig in die Wege geleitet werden. Das Risiko des
Scheiterns des Medikaments in der klinischen Prüfung oder der Zulassung
trägt dabei freilich der Kunde.
Die Geheimniskrämer
Wer ein solches Angebot vermarkten will, muß freilich außer
technischer Kompetenz vor allem dreierlei bieten: Diskretion, Diskretion und
Diskretion. Die zuständige Gentech-Aufsichtsbehörde sollte schnell und
unbürokratisch genehmigen, was der Konzern beantragt, die örtliche
Politik sollte es unauffällig unterstützen, und die
Öffentlichkeit sollte sich nicht allzusehr dafür interessieren, was
hinter dem Fabrikzaun vor sich geht. Biberach ist da sozusagen der ideale
Standort.
Für Boehringer bedeutet diese Geheimiskrämerei freilich eine
ständige Gratwanderung, schließlich will man doch auch werben
für sein Angebot. Eine Folge ist, daß die spannenden Informationen nur
auf den englischsprachigen Seiten der Firmenhomepage zun finden sind. Eine
andere, daß der Internet-Benutzer mit etwas googeln mancherlei
finden kann, was am Ort des Geschehens durchaus unbekannt ist. Die geneigte
Leserin (Männer inbegriffen) sei hiermit aufgefordert, mir
derartige Funde zu mailen, das wird dieser kleinen Serie guttun.
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