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Boehringer in Biberach

02.08.2002
Am Beginn meiner kleinen Serie von Artikeln zu Boehringer-Ingelheim Biberach (ehemals Thomae) gibt dieser Text eine kurze Übersicht über die Firma.

Wem gehört Boehringer Ingelheim?
Die zwanzig größten Pharmafirmen der Welt sind bis auf eine alle Aktiengesellschaften. Die einzige Ausnahme bildet die Nummer 17, Boehringer Ingelheim, die den Familien Boehringer und von Baumbach gehört. Das Manager-Magazin führt in der Liste der 100 reichsten Deutschen des Jahres 2002 drei Personen als Eigentümer des Konzerns, nämlich Erich von Baumbach, Albert Boehringer und Otto Boehringer. Ihr Vermögen wird mit jeweils 4,1 Milliarden Euro angegeben.
Eine andere Meinung vertritt der Genethische Informationsdienst. Dort steht in Heft 133, Hoffmann LaRoche habe 1997 Boehringer-Ingelheim übernommen. Vermutlich liegt das ansonsten gut informierte Blatt damit aber falsch. Das amerikanische Magazin Forbes berichtet, daß LaRoche 1997 Boehringer Mannheim erworben habe.
Erich von Baumbach war jedenfalls laut Boehringer-Ingelheim Homepage bis 2000 Vorsitzender des Gesellschafterausschusses des Konzerns. Zum Jahreswechsel 2001 wurde er durch Heribert Johann, bis dahin Sprecher der Unternehmensleitung, abgelöst. Dessen Nachfolger ist sein bisheriger Stellvertreter Rolf Krebs.

Die Stellung der ehemaligen Firma Thomae im Boehringer-Ingelheim Konzern
Anfang der 90er Jahre hat die damalige Unternehmensleitung von der Boston Consulting Group eine weitreichende Umstrukturierung erarbeiten lassen. Im Zuge dieses Umbaus verlor Thomae die chemische und einen Großteil der pharmazeutischen Produktion. Im Gegenzug hat man die gentechnische Produktion in Biberach konzentriert, zumal hier schon seit 1986 der Wirkstoff t-PA in der "größten Produktionsanlage für Arzneimittel aus Zellkulturen in Europa" hergestellt wurde.
Darüber hinaus ist Biberach ein bedeutender Forschungsstandort des Konzerns mit dem Schwerpunkt auf der Entwicklung gentechnischer Produktionsverfahren. Besonders eng ist die Kooperation mit dem Standort Wien, wo Boehringer-Ingelheim im konzerneigenen Institut für molekulare Pathologie (IMP) schwerpunktmäßig gentechnologische Grundlagenforschung und Krebsforschung betreibt.

Die größte Zellkultur
Seit nunmehr 15 Jahren besteht Boehringer-Ingelheim darauf, in Biberach Europas größte und weltweit die zweitgrößte "Zellkulturproduktionsanlage" zu betreiben. In Produktionsfermentern von sagenhaften 12,5 m3 Volumen werden mittels gentechnisch manipulierter Zellen pharmazeutisch verwendbare Eiweiße hergestellt.
Aventis, ehemals Hoechst, produziert in Frankfurt mit genmanipulierten Bakterien in 40 m3 großen Fermentern, und in der Tat dürfte das dort hergestellte Insulin auch etwas häufiger über den Apothekentisch wandern als beispielsweise Actilyse oder Beneseron.
Der Unterschied zwischen den beiden Anlagen besteht nun aber nicht nur in der Größe der Fermenter, sondern auch in der Art der verwendeten Zellen. Boehringer-Ingelheim Biberach verwendet nämlich Säugetierzellen, insbesondere aus den Eierstöcken einer chinesischen Hamsterart gewonnene Zellen(CHO-Zellen), und in dieser Spezialdisziplin ist der Standort hier tatsächlich zusammen mit Genentech (USA) weltweit führend. Genentech ist übrigens ein bevorzugter Kooperationspartner von Boehringer-Ingelheim.

Teure Gentech-Medizin
Die Produktion von Medikamenten mittels genetisch manipulierter Organismen ist technisch aüßerst kompliziert und teuer. Daher konnte die Pharmaindustrie bisher nur wenige Produkte, z.B. Insuline, auf dem Markt gegen die billigeren konventionell hergestellten Konkurrenzprodukte durchsetzen. Manche Mittelchen erwiesen sich freilich als konkurrenzlos, wie etwa das bei Radrennfahrern beliebte EPO. Andere Produkte, darunter auch Boehringers erste große Gentech-Hoffnung t-PA, gelten heute aufgrund ihres Preises nur mehr als Reservetherapeutika. Wieder andere, anfangs als wahre Wundermittel angepriesene Stoffgruppen (z.B. Interferone) haben in der Praxis ihren Glanz weitgehend verloren.
Mit öffentlichen Geldern großzügig geförderte Genforschungseinrichtungen entdecken laufend neue "vielversprechende" Wirkstoffe, während ihnen sowohl Produktionskapazitäten als auch die zum Bau solcher Anlagen nötigen Gelder fehlen. Analysten schätzen, daß deshalb schon 2004 die Nachfrage nach gentechnischen Produktionskapazitäten das Angebot um das vierfache übersteigen wird.

Boehringers Strategie auf dem Weltmarkt
Die mit dem mangelnden Verkaufserfolg der im eigenen Haus entwickelten Gentech-Medikamente entstandenen Überkapazitäten stellten sich im Nachhinein geradezu als Glücksfall dar. Boehringer-Ingelheim Biberach wandelte sich zum weltweit vermutlich bedeutendsten Anbieter von freien Gentech-Produktionskapazitäten. Von der Auftragsentwicklung "bio"technologischer Verfahren ber die Auftragsproduktion bis hin zum kompletten Arzneimittel inclusive Durchführung medizinischer Studien und Zulassung des Medikaments bei den zuständigen Behörden reicht das Angebot.Unter dem Titel "Time to market approach" bietet der Konzern auf seiner homepage sogar ein Turbo-Verfahren an, bei dem diese Schritte möglichst gleichzeitig in die Wege geleitet werden. Das Risiko des Scheiterns des Medikaments in der klinischen Prüfung oder der Zulassung trägt dabei freilich der Kunde.

Die Geheimniskrämer
Wer ein solches Angebot vermarkten will, muß freilich außer technischer Kompetenz vor allem dreierlei bieten: Diskretion, Diskretion und Diskretion. Die zuständige Gentech-Aufsichtsbehörde sollte schnell und unbürokratisch genehmigen, was der Konzern beantragt, die örtliche Politik sollte es unauffällig unterstützen, und die Öffentlichkeit sollte sich nicht allzusehr dafür interessieren, was hinter dem Fabrikzaun vor sich geht. Biberach ist da sozusagen der ideale Standort.
Für Boehringer bedeutet diese Geheimiskrämerei freilich eine ständige Gratwanderung, schließlich will man doch auch werben für sein Angebot. Eine Folge ist, daß die spannenden Informationen nur auf den englischsprachigen Seiten der Firmenhomepage zun finden sind. Eine andere, daß der Internet-Benutzer mit etwas googeln mancherlei finden kann, was am Ort des Geschehens durchaus unbekannt ist. Die geneigte Leserin (Männer inbegriffen) sei hiermit aufgefordert, mir derartige Funde zu mailen, das wird dieser kleinen Serie guttun.