Anders als am Schluss des letzten Textes angekündigt,
folgt diesmal ein Beispiel aus der Auftragsforschung von Boehringer Ingelheim.
Und zwar ein echtes Schmankerl. Der Bericht handelt von einem ehemaligen
Wundermittel aus Amerika, einem abgedrehten Immunbiologen, seiner Firma und
vielem, vielem Geld. Ein Einblick in die Branche.
Die Vorgeschichte
Am Anfang stand eine Kriegserklärung. Der Präsident, es war
Richard Nixon, erklärte "the war on cancer". Bis 1975 sollte
"der Krebs" besiegt sein. Solch durchschlagender Erfolg war diesem
Feldzug nicht beschieden, die eingesetzten Staatsgelder förderten vielmehr
die im Entstehen begriffene Genforschung. 1977 entdeckte das Team um Harold
Varmus und Michael Bishop an der University of California die ersten Krebsgene.
Bald darauf fand man sogenannte Wachstumsfaktoren.
Der Erfinder
Dr. John Mendelsohn war in dieser Anfangsphase einer der führenden
Wissenschaftler in San Francisco. Schon 1980 vermutete er, der Wachstumsfaktor
EGF (Epidermal Growth Factor) könne ein brauchbares Angriffsziel
für eine Krebstherapie sein. Eine ganze Reihe von Krebsarten, so hatte er
festgestellt, produzierten diesen Wachtumsfaktor in großen Mengen.
Fachkollegen und Industrie blieben zunäst aber skeptisch. EGF kommt auch
bei Gesunden vor, besonders in Hautzellen, daher wurden massive Nebenwirkungen
befürchtet. Dazu kam, daß man damals noch nicht in der Lage war,
"menschliche" Antikörper herzustellen. Man musste sich mit
Mäuse-Antikörpern begnügen, was bei den Patienten Immunreaktionen
befürchten lies.
Mendelsohn gab jedoch nicht auf, sondern entwickelte in den folgenden Jahren mit
seinem Kollegen Dr. Gordon Sato einen Antikörper gegen den EGF-Rezeptor.
1990 gelang es ihm schließlich, eine Lizenz für sein Produkt an die
Firma Hybritech zu vergeben. Der Antikörper trug inzwischen den Namen
imc-c225 und hatte schon einige erfolgversprechende Tierversuche hinter
sich.
Dann folgte allerdings ein erneuter Rückschlag. 1992 kaufte der Pharmariese
Eli Lilly & Co Hybritech auf und entschied, das Projekt imc-c225 nicht
weiterzuverfolgen. Das Patent fiel an Dr. Mendelsohn zurück.
Die Firma
Zwei Brüder um die fünfzig, beide Mediziner von Beruf, der eine mit
besten Kontakten in die New Yorker Yuppie-Oberschicht, der andere solider
Familienvater, beschlossen im New York des Jahres 1984, ihrem Leben noch einmal
ordentlich Speed zu geben und gründeten eine Firma. Sie gaben ihr den Namen
ImClone und nannten als Firmenzweck :
"to engage in research and development, production, manufacturing and
distribution of products based on genetic engineering"
Sam Waksal, der ältere der beiden, hatte in Immunbiologie graduiert, und
so starteten sie ihre Forschungen zunächst auf dem Gebiet der
HIV-Forschung. Geschäftliche Erfolge blieben aus, die Firma hielt sich dank
der Ausgabe immer neuer Anteilscheine zu immer geringerem Nennwert dennoch
irgendwie über Wasser. 1991 gelang schließlich der Börsengang.
ImClone erzielte für seine Aktien immerhin einen Kurs von 13 $. Bei
einem Nennwert von einem zehntel Cent -"a par Value of one tenth of one
cent ($.001) per share "- kein schlechtes Ergebnis. Sie sollten das
Geld auch bald dringend gebrauchen.
Das Produkt
1992 kam es zu einem Treffen der Waksal-Brüder mit Dr.John Mendelsohn, der
die ImClone-Gründer von seiner Idee einer Krebstherapie überzeugen
konnte. Sam und Harlan sahen ihre Chance, sie hatten jetzt ein Produkt. Noch im
selben Jahr kaufte ImClone eine bankrotte Chip-Firma, baute die Anlage um, und
begann mit der Produktion von imc-c225. Die Sache wurde teuer, ImClone musste
sämtlich anderen Vorhaben einstellen, Leute entlassen, und startete
schließlich 1994 mit einer Belegschaft von 50 Mitarbeitern die ersten
Versuchen an Krebspatienten.
Zu dieser Zeit war die Firma wieder einmal praktisch pleite, hatte jedoch
Glück. Unter den zwölf Patienten ihrer Phase-1 Studie waren zwei,
deren Tumore sich nach der Gabe von imc-c225 zurückbildeten. Dabei waren
die Probanten hoffnungslose Fälle gewesen, bei denen zuvor alle
Therapieversuche gescheitert waren.
Im Mai 1995 stellte Dr. Mendelsohn die Ergebnisse auf einem Kongress der
American Society of Clinical Oncology vor, und erntete große
Aufmerksamkeit. Der Kurs der ImClone-Aktien, der zuvor auf rund 6 $
gefallen war, begann wieder zu steigen, und die Firma machte sich auf die Suche
nach Kooperationspartnern.
1997 begannen sich die Dinge zu beschleunigen. ImClone erreichte eine
Kooperationsvereinbarung mit dem deutschen Pharmakonzern Merck, der für
einen 20-Prozent Anteil der Imclone Aktien rund 30 Millionen Dollar bezahlte und
im Gegenzug die Vermarktungsrechte für alle Länder außer USA,
Kanada und Japan erhielt. Im Zuge dieser Vereinbarung wurde das Kapital von
Imclone auf 45 Millionen Aktien erhöht. Zugleich wurde es nötig, ein
industrietaugliches Produktionsverfahren für den Antikörper zu
entwickeln, eine Aufgabe, die Imclone nicht leisten konnte und Merck nicht
leisten wollte. Der Auftrag ging an Thomae.
Boehringer entwickelt
Im November 1997 schloss ImClone mit Boehringer-Ingelheim Biberach, damals noch
Thomae, ein "Material Transfer Agreement for ... to evaluate potential
production and supply of C225". Die Evaluation mündete in ein
"CONTRACT RESEARCH AND DEVELOPMENT AGREEMENT (C225)", mit "start
date" 1. Februar 1998, das allerdings erst am 30.04.1999 unterzeichnet
wurde, und Ende 1999 auslief.
In dem 25 Seiten langen Vertrag, der -mit einigen Kürzungen,
"CONFIDENTIAL TREATMENT REQUESTED"- auf der amerikanischen Website
"findlaw" vorliegt, tritt ImClone als Eigentümer der zur
Produktion nötigen "hybridoma" Zell-Linie und Boehringer als
Spezialist für "cell culture, processing, protein purification and
Iyophilization" auf.
Boehringer übernimmt dabei folgende Aufgaben:
- Entwicklung einer "Master Cell Bank"
- Entwicklung einer "Manufacturer's Working Cell Bank"
- Aufbau einer "Phase 1" Pilot-Anlage.
"pilot
fermentation scale and establishment of a downstream purification
process"
- Aufbau einer "Phase 2" Anlage zur Produktion von imc-c225 in
klinischem Reinheitsgrad und nach den Regeln der amerikanischen Food and Drug
Administration.
"cGMP production of clinical grade material at that
scale"
- Lieferung der hierbei anfallenden Mengen von imc-c225 an ImClone
Eine darüber hinaus gehende Option zur Lieferung zusätzlicher Mengen
von imc-c225 zwecks klinischer Versuche (Phase 3) hat
Boehringer-Ingelheim anscheinend nicht wahrgenommen. Imclone bezahlte
Boehringer-Ingelheim für seine Dienste nach eigenen Angaben gut 11
Millionen DM, vermutlich von dem Geld von Merck.
In diesem Forschungs- und Entwicklungsvertrag taucht in bald jedem zweiten Satz
das Wort vertraulich ( confidential ) auf, und unter Punkt "13.2
Publicity" ist gar die Rede vom Unterlassen aller das Projekt betreffender
Pressemitteilungen.
"Except as required by law (e.g. SEC-requirements), no press release or
other form of publicity regarding the Project or this Agreement shall
be permitted to be published unless both parties have indicated their
consent to the form of the release."
Was das für einen Sinn macht, wenn der Vertrag im Internet steht und mit
"boehringer ingelheim imclone development agreement" einwandfrei zu
googeln ist, bleibt mir ein Rätsel.
Der Hype
Parallel zu den Fortschritten bei der Produktion des Antikörpers
intensiviert ImClone in den Jahren 1998 bis 2000 in Zusammenarbeit mit
Merck in dessen klinische Erprobung. In ihrem Jahresbericht vom April 2001
erwartet die Firma Ergebnisse der klinischen Tests noch im selben Jahr.
Auf dem 2001er Kongress der American Society of Clinical Oncology startet
ImClone eine enorme Public Relations Offensive. Man legt ausgewählte Zahlen
aus der klinischen Erprobung vor, nach denen bei 50 % der Patienten die
Tumore schrumpfen, und fürs Rahmenprogramm engagiert die Firma, die in
ihrer gesamten Existenz noch niemals einen Gewinn ausgewiesen hatte, die Doobie
Brothers.
Die Aktion schlägt ein. Analysten und Fachwelt sind begeistert, der
Aktienkurs steigt. In fachkundigen Kreisen wird besonderes eine Eigenschaft der
neuartigen Krebsbehandlung mit Interesse zur Kenntnis genommen, nämlich,
daß sie den Krebs nicht heilt, sondern in einen behandelbaren Dauerzustand
überführt.
":C225 does not kill tumors--it stops them from growing" schreibt
business week, und weiter "The disease would become a chronic and treatable
condition, much like diabetes. Patients could go on maintenance, receiving an
intravenous dose of C225 or some other drug once every four or five weeks,
possibly for years."
Bei jährlichen Behandlungskosten von geschätzten 10000 Dollar pro
Patient ergibt sich ein ganz ansprechender Umsatz, wenn, ja wenn diese Methode
sich durchsetzt.
Unter denen, die an die neue Methode glauben, ist auch das Management des
amerikanischen Pharmariesen Bristol-Myers Squibb. Die haben Geld und sie geben
es aus. Im September 2001 kauft Bristol-Myers Squibb zwanzig Prozent der
Imclone-Aktien zum Preis von $1,000,000,000 . In Worten eine Milliarde
Dollar. Die Waksal-Brüder erlösen rund 160 Millionen. Der Deal wird
auf der ganzen Welt gefeiert, nun scheint das goldene Zeitalter angebrochen, wo
kleine Gentech-Firmen richtig Geld verdienen. Das Medikament bekommt einen
richtigen Namen, Erbitux, und der Kurs der Imclone-Aktie steigt auf über
75 Dollar.
Der Crash
Während die Analysten jubeln - Biotech-Investor beispielsweise erklärt
noch im November 2001, ImClone sei ein klarer Kauf bei 70 Dollar - braut sich
das Unheil schon zusammen. Die US-Aufsichtsbehörde FDA bemängelt die
von Imclone gelieferten Zahlen aus den klinischen Versuchen. Am 28.12.2001
fordert die FDA ergänzendes Zahlenmaterial und ImClone kann es nicht
liefern.
Im Mai 2002 kommen schließlich Ergebnisse der klinischen Prüfungen
ans Licht, nach denen Erbitux bei gerade einmal 11,5 Prozent der Patienten
positive Wirkungen gezeigt habe. Die ImClone-Aktie fällt auf unter 10
Dollar und Sam Waksal wird wegen Insiderhandels verhaftet.
Dabei ist der Mann ein Genie. Auch wenn Erbitux auf absehbare Zeit nicht
zugelassen wird, eine Sache macht ihm so schnell keiner nach, nämlich mit einer
Firma, die keinen Gewinn macht, einem Produkt ohne Zulassung und einer
begnadeten Schnauze hundert Millionen Dollar zu generieren.
Alle Achtung,Sam.
-heidi-
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