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Boehringer und Erbitux

30.08.02
Anders als am Schluss des letzten Textes angekündigt, folgt diesmal ein Beispiel aus der Auftragsforschung von Boehringer Ingelheim. Und zwar ein echtes Schmankerl. Der Bericht handelt von einem ehemaligen Wundermittel aus Amerika, einem abgedrehten Immunbiologen, seiner Firma und vielem, vielem Geld. Ein Einblick in die Branche.

Die Vorgeschichte
Am Anfang stand eine Kriegserklärung. Der Präsident, es war Richard Nixon, erklärte "the war on cancer". Bis 1975 sollte "der Krebs" besiegt sein. Solch durchschlagender Erfolg war diesem Feldzug nicht beschieden, die eingesetzten Staatsgelder förderten vielmehr die im Entstehen begriffene Genforschung. 1977 entdeckte das Team um Harold Varmus und Michael Bishop an der University of California die ersten Krebsgene. Bald darauf fand man sogenannte Wachstumsfaktoren.

Der Erfinder
Dr. John Mendelsohn war in dieser Anfangsphase einer der führenden Wissenschaftler in San Francisco. Schon 1980 vermutete er, der Wachstumsfaktor EGF (Epidermal Growth Factor) könne ein brauchbares Angriffsziel für eine Krebstherapie sein. Eine ganze Reihe von Krebsarten, so hatte er festgestellt, produzierten diesen Wachtumsfaktor in großen Mengen. Fachkollegen und Industrie blieben zunäst aber skeptisch. EGF kommt auch bei Gesunden vor, besonders in Hautzellen, daher wurden massive Nebenwirkungen befürchtet. Dazu kam, daß man damals noch nicht in der Lage war, "menschliche" Antikörper herzustellen. Man musste sich mit Mäuse-Antikörpern begnügen, was bei den Patienten Immunreaktionen befürchten lies.
Mendelsohn gab jedoch nicht auf, sondern entwickelte in den folgenden Jahren mit seinem Kollegen Dr. Gordon Sato einen Antikörper gegen den EGF-Rezeptor. 1990 gelang es ihm schließlich, eine Lizenz für sein Produkt an die Firma Hybritech zu vergeben. Der Antikörper trug inzwischen den Namen imc-c225 und hatte schon einige erfolgversprechende Tierversuche hinter sich.
Dann folgte allerdings ein erneuter Rückschlag. 1992 kaufte der Pharmariese Eli Lilly & Co Hybritech auf und entschied, das Projekt imc-c225 nicht weiterzuverfolgen. Das Patent fiel an Dr. Mendelsohn zurück.

Die Firma
Zwei Brüder um die fünfzig, beide Mediziner von Beruf, der eine mit besten Kontakten in die New Yorker Yuppie-Oberschicht, der andere solider Familienvater, beschlossen im New York des Jahres 1984, ihrem Leben noch einmal ordentlich Speed zu geben und gründeten eine Firma. Sie gaben ihr den Namen ImClone und nannten als Firmenzweck :
"to engage in research and development, production, manufacturing and distribution of products based on genetic engineering"
Sam Waksal, der ältere der beiden, hatte in Immunbiologie graduiert, und so starteten sie ihre Forschungen zunächst auf dem Gebiet der HIV-Forschung. Geschäftliche Erfolge blieben aus, die Firma hielt sich dank der Ausgabe immer neuer Anteilscheine zu immer geringerem Nennwert dennoch irgendwie über Wasser. 1991 gelang schließlich der Börsengang. ImClone erzielte für seine Aktien immerhin einen Kurs von 13 $. Bei einem Nennwert von einem zehntel Cent -"a par Value of one tenth of one cent ($.001) per share "- kein schlechtes Ergebnis. Sie sollten das Geld auch bald dringend gebrauchen.

Das Produkt
1992 kam es zu einem Treffen der Waksal-Brüder mit Dr.John Mendelsohn, der die ImClone-Gründer von seiner Idee einer Krebstherapie überzeugen konnte. Sam und Harlan sahen ihre Chance, sie hatten jetzt ein Produkt. Noch im selben Jahr kaufte ImClone eine bankrotte Chip-Firma, baute die Anlage um, und begann mit der Produktion von imc-c225. Die Sache wurde teuer, ImClone musste sämtlich anderen Vorhaben einstellen, Leute entlassen, und startete schließlich 1994 mit einer Belegschaft von 50 Mitarbeitern die ersten Versuchen an Krebspatienten.
Zu dieser Zeit war die Firma wieder einmal praktisch pleite, hatte jedoch Glück. Unter den zwölf Patienten ihrer Phase-1 Studie waren zwei, deren Tumore sich nach der Gabe von imc-c225 zurückbildeten. Dabei waren die Probanten hoffnungslose Fälle gewesen, bei denen zuvor alle Therapieversuche gescheitert waren.
Im Mai 1995 stellte Dr. Mendelsohn die Ergebnisse auf einem Kongress der American Society of Clinical Oncology vor, und erntete große Aufmerksamkeit. Der Kurs der ImClone-Aktien, der zuvor auf rund 6 $ gefallen war, begann wieder zu steigen, und die Firma machte sich auf die Suche nach Kooperationspartnern.
1997 begannen sich die Dinge zu beschleunigen. ImClone erreichte eine Kooperationsvereinbarung mit dem deutschen Pharmakonzern Merck, der für einen 20-Prozent Anteil der Imclone Aktien rund 30 Millionen Dollar bezahlte und im Gegenzug die Vermarktungsrechte für alle Länder außer USA, Kanada und Japan erhielt. Im Zuge dieser Vereinbarung wurde das Kapital von Imclone auf 45 Millionen Aktien erhöht. Zugleich wurde es nötig, ein industrietaugliches Produktionsverfahren für den Antikörper zu entwickeln, eine Aufgabe, die Imclone nicht leisten konnte und Merck nicht leisten wollte. Der Auftrag ging an Thomae.

Boehringer entwickelt
Im November 1997 schloss ImClone mit Boehringer-Ingelheim Biberach, damals noch Thomae, ein
"Material Transfer Agreement for ... to evaluate potential production and supply of C225".
Die Evaluation mündete in ein "CONTRACT RESEARCH AND DEVELOPMENT AGREEMENT (C225)", mit "start date" 1. Februar 1998, das allerdings erst am 30.04.1999 unterzeichnet wurde, und Ende 1999 auslief.
In dem 25 Seiten langen Vertrag, der -mit einigen Kürzungen, "CONFIDENTIAL TREATMENT REQUESTED"- auf der amerikanischen Website "findlaw" vorliegt, tritt ImClone als Eigentümer der zur Produktion nötigen "hybridoma" Zell-Linie und Boehringer als Spezialist für "cell culture, processing, protein purification and Iyophilization" auf.
Boehringer übernimmt dabei folgende Aufgaben:

  • Entwicklung einer "Master Cell Bank"
  • Entwicklung einer "Manufacturer's Working Cell Bank"
  • Aufbau einer "Phase 1" Pilot-Anlage.
    "pilot fermentation scale and establishment of a downstream purification process"
  • Aufbau einer "Phase 2" Anlage zur Produktion von imc-c225 in klinischem Reinheitsgrad und nach den Regeln der amerikanischen Food and Drug Administration.
    "cGMP production of clinical grade material at that scale"
  • Lieferung der hierbei anfallenden Mengen von imc-c225 an ImClone
Eine darüber hinaus gehende Option zur Lieferung zusätzlicher Mengen von imc-c225 zwecks klinischer Versuche (Phase 3) hat Boehringer-Ingelheim anscheinend nicht wahrgenommen. Imclone bezahlte Boehringer-Ingelheim für seine Dienste nach eigenen Angaben gut 11 Millionen DM, vermutlich von dem Geld von Merck.
In diesem Forschungs- und Entwicklungsvertrag taucht in bald jedem zweiten Satz das Wort vertraulich ( confidential ) auf, und unter Punkt "13.2 Publicity" ist gar die Rede vom Unterlassen aller das Projekt betreffender Pressemitteilungen.
"Except as required by law (e.g. SEC-requirements), no press release or other form of publicity regarding the Project or this Agreement shall be permitted to be published unless both parties have indicated their consent to the form of the release."
Was das für einen Sinn macht, wenn der Vertrag im Internet steht und mit "boehringer ingelheim imclone development agreement" einwandfrei zu googeln ist, bleibt mir ein Rätsel.

Der Hype
Parallel zu den Fortschritten bei der Produktion des Antikörpers intensiviert ImClone in den Jahren 1998 bis 2000 in Zusammenarbeit mit Merck in dessen klinische Erprobung. In ihrem Jahresbericht vom April 2001 erwartet die Firma Ergebnisse der klinischen Tests noch im selben Jahr.
Auf dem 2001er Kongress der American Society of Clinical Oncology startet ImClone eine enorme Public Relations Offensive. Man legt ausgewählte Zahlen aus der klinischen Erprobung vor, nach denen bei 50 % der Patienten die Tumore schrumpfen, und fürs Rahmenprogramm engagiert die Firma, die in ihrer gesamten Existenz noch niemals einen Gewinn ausgewiesen hatte, die Doobie Brothers.
Die Aktion schlägt ein. Analysten und Fachwelt sind begeistert, der Aktienkurs steigt. In fachkundigen Kreisen wird besonderes eine Eigenschaft der neuartigen Krebsbehandlung mit Interesse zur Kenntnis genommen, nämlich, daß sie den Krebs nicht heilt, sondern in einen behandelbaren Dauerzustand überführt.
":C225 does not kill tumors--it stops them from growing" schreibt business week, und weiter "The disease would become a chronic and treatable condition, much like diabetes. Patients could go on maintenance, receiving an intravenous dose of C225 or some other drug once every four or five weeks, possibly for years."
Bei jährlichen Behandlungskosten von geschätzten 10000 Dollar pro Patient ergibt sich ein ganz ansprechender Umsatz, wenn, ja wenn diese Methode sich durchsetzt.
Unter denen, die an die neue Methode glauben, ist auch das Management des amerikanischen Pharmariesen Bristol-Myers Squibb. Die haben Geld und sie geben es aus. Im September 2001 kauft Bristol-Myers Squibb zwanzig Prozent der Imclone-Aktien zum Preis von $1,000,000,000 . In Worten eine Milliarde Dollar. Die Waksal-Brüder erlösen rund 160 Millionen. Der Deal wird auf der ganzen Welt gefeiert, nun scheint das goldene Zeitalter angebrochen, wo kleine Gentech-Firmen richtig Geld verdienen. Das Medikament bekommt einen richtigen Namen, Erbitux, und der Kurs der Imclone-Aktie steigt auf über 75 Dollar.

Der Crash
Während die Analysten jubeln - Biotech-Investor beispielsweise erklärt noch im November 2001, ImClone sei ein klarer Kauf bei 70 Dollar - braut sich das Unheil schon zusammen. Die US-Aufsichtsbehörde FDA bemängelt die von Imclone gelieferten Zahlen aus den klinischen Versuchen. Am 28.12.2001 fordert die FDA ergänzendes Zahlenmaterial und ImClone kann es nicht liefern.
Im Mai 2002 kommen schließlich Ergebnisse der klinischen Prüfungen ans Licht, nach denen Erbitux bei gerade einmal 11,5 Prozent der Patienten positive Wirkungen gezeigt habe. Die ImClone-Aktie fällt auf unter 10 Dollar und Sam Waksal wird wegen Insiderhandels verhaftet.
Dabei ist der Mann ein Genie. Auch wenn Erbitux auf absehbare Zeit nicht zugelassen wird, eine Sache macht ihm so schnell keiner nach, nämlich mit einer Firma, die keinen Gewinn macht, einem Produkt ohne Zulassung und einer begnadeten Schnauze hundert Millionen Dollar zu generieren.
Alle Achtung,Sam.

-heidi-