Ralph Heidenreich Schönfeldstraße 2 88400 Biberach Germany
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Musik ist Trumpf

ein Prozess aus dem Jahre 1998
In der letzten WILD-Zeitung hatten wir von zwei Prozessen vor dem Biberacher Jugendgericht berichtet und den durchaus unterschiedlichen Stil hervorgehoben, in dem Jugendrichter Ehrmann einen jungen Drögeler recht hart und zwei fast noch junge Neonazis ziemlich milde beurteilt hat.

Mitte März, rund zwei Wochen nach Erscheinen der WILD, führte Ehrmann wieder einen Nazi-Prozeß. Angeklagt war ein 21jähriger Zivildienstleistender. Er hatte, und das gab er auch zu, 1997 einen Vertrieb für Nazi-Propaganda unterhalten, hauptsächlich CDs (Zillertaler Türkenjäger und so Zeug) aber auch Hakenkreuzfahnen und Reichskriegskrempel. Der Angklagte distanzierte sich pflichtgemäß von der 'rechten Scene', er habe sich damals in diese Ecke geflüchtet, weil einer seiner Mitschüler von "Ausländern" geschlagen worden sei. Die CDs, die "auf dem Index stehen", habe er selber nicht gehört, sondern Musik von "solchen Gruppen wie 'Rheinwacht', die zwar nicht verfassungsfreundlich sind, aber auch nicht verfasssungsfeindlich." Auch sonst will er lieber ein Feigling gewesen sein. Er habe sich nicht skinheadmäßig gekleidet, denn "da musste ich Angst haben, daß mir in der Stadt einer eine aufs Maul haut."
Neben derlei Distanzierungen wurde ihm vom Gericht positiv angerechnet, daß er Aussagen gemacht und Namen genannt hatte. Das Urteil lautete schließlich auf 1500 DM, was in etwa einer Umsatzsteuernachzahlung gleichkommt. Soweit also alles wie gehabt.
Das Neue und ganz Unerwartete an dieser Veranstaltung war, daß der Richter sich wohl zehn Minuten lang deutlich und ausdrücklich vom Nazismus distanzierte. Er verlas eine unzitierbare antisemitische Textstelle der 'Türkenjäger' und äußerte dann tiefe Betroffenheit. Er habe sich noch nie mit solcher Musik beschäftigen müssen, "aber diese Texte von der Musik, da läufts mir kalt den Buckel runter, das ist ja grausam", sagte er und daß er Angst habe, "daß solche Ansichten in Zukunft wieder Einfluß auf die Politik nehmen könnten".
Etwas sonderbar kam das schon deshalb an, weil im Gegensatz zur klaren Rede des Richters der Angeklagte mit einer ziemlich verdrucksten Erklärung sich 'distanzieren' konnte. Warum hat Herr Ehrmann den Angeklagten nicht gefragt, wie er's denn mit den Juden halte? Schließlich hatte der doch das antisemitische Zeug verkauft. Und was meinet der Herr Richter mit der Bemerkung, solche Ansichten könnten "wieder Einfluß auf die Politik nehmen" ? Daß das derzeit geltende Asylrecht zentrale politische Forderungen der Republikaner aus den 80er Jahren verwirklicht ? Oder spielt er auf die Zeit seiner Ausbildung an, als noch ein Spruch des ehemaligen hitlerdeutschen Marinerichters und späteren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger galt. Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein, hatte der gesagt, und damit zu rechtfertigen versucht, daß er noch nach Kriegsende einen Deserteur zum Tode verurteilt hatte.