Text vom 25.07.2013

Am 15.März 2012, etwa ein Jahr bevor Edward Snowden die Angelegenheit allgemein bekannt machte, veröffentlichte James Bamford im Technikmagazin wired einen längeren Artikel über das Utah Data Center des amerikanischen Geheimdienstes NSA. Die seither bekanntgewordenen Enthüllungen bestätigen im wesentlichen Bamfords Beschreibung, nur bei der Menge der zu speichernden Daten scheint man heute eher mit 5 Zettabytes zu rechnen als mit einem Yottabyte.

Derzeit liegt das weltweite jährliche Internet-Datenvolumen bei etwa einem halben Zettabyte. Selbst wenn die NSA ein tausendmal heruntergeladenes Video tausendmal abspeichert, sollte allein dieses Datencenter ausreichen, um jahrelang alles zu speichern, was mit den Glasfaser-Backbones in Berührung kommt, alle Texte, Bilder, Sound, Video, Metadaten sowieso.

Man könnte damit 10 Milliarden Handys zweitausend Jahre lang 24 Stunden am Tag als Wanzen abhören. Laut IBM produziert die Menschheit etwa 2,5 mal 10 hoch 18 Bytes am Tag. Fünf zettabyte entsprechen dann rund 6 Jahren. Das Ding ist groß, richtig groß.

Andererseits sind Geheimdienste nicht nur dafür bekannt, Leute abzuhören. Sie jubeln uns auch gern mal Falschinformationen unter. Kann man fünf Zettabytes speichern? Zu welchem Preis? Nehmen wir an, ein Terabyte Plattenplatz koste die NSA 10 $. Fünf Zettabyte kämen dann auf etwa 50 Milliarden, dazu noch Server, Racks etc. Das ist viel Geld, aber nicht unbedingt unmöglich. Zwecks Bankenrettung hat Frau Merkel damals binnen einer Woche 500 Milliarden organisiert.

“Der eine kanns, der andere auch”, so der Titel eines Films von Doris Dörrie, und das gilt wohl auch hier. Die Ambitionen deutscher Dienste mögen nicht ganz so hoch gesteckt sein wie die ihrer amerikanischen Kollegen, aber in Deutschland wohnt ja auch nur ein Prozent der Weltbevölkerung. Große Datenmengen – Big Data – gibt es ebenfalls in der privaten Wirtschaft, bei Google, Facebook, Banken, Telecoms, Kranken- und andere Versicherungen zum Beispiel. Ob man den Privaten mehr vertrauen können als den Geheimen sei einmal dahingestellt. Wenn Daten-Wissen Macht ist, waren wir jedenfalls noch nie so machtlos wie heute.

Daten, auch viele, sind noch kein Wissen. Im Gegenteil, je größer die Datenmenge, desto wahrscheinlicher ist es, auf eine Frage eine oder gar viele falsche Antworten zu bekommen. Zufällige Treffer und falsche Positive häufen sich zu großen Häufen.

Andererseits gibt es Fragen, die sich mit großen Datenmengen gut beantworten lassen, und diese Fragen haben es in sich. Fragt man Big Data nach “Anton Alzheimer”, so mag die Antwort aus 10 Gigabyte Irgendwas bestehen. Fragt man dagegen nach “Anton Alzheimer” und “Norbert Notorius”, so mag dabei herauskommen, dass Antons Schwester eine Freundin hatte, die Norbert kannte, und dass Anton und Norbert sich mindestens acht mal begegnet sein sollten, zuletzt letzte Woche am selben Baggersee waren und noch nie miteinander telefoniert haben. So etwas könnte beispielsweise einen Verdacht auslösen. Oder eine Werbung schalten, in der das Model eine gewisse Ähnlichkeit mit Antons Schwesters Freundin hat. Oder Antons Kreditwürdigkeit verbessern. Anton wird es jedenfalls nicht erfahren, er erlebt es nur.

“Die Wahrheit des selbständigen Bewußtseins ist … das knechtische Bewußtsein” schreibt Hegel. Der Herr verliert die Wahrheit, indem und weil er sich bedienen lässt. Das Gefühl der absoluten Macht zeigt nur den Verlust des selbständigen Denkens. Der Knecht gewinnt die Wahrheit, indem er tut. Wir nutzen unsere Geräte ganz nach unserem Gutdünken. Wir können dank Internet alles wissen und mit allen über alles reden. Und mit jedem Klick erzählen wir von uns. Mit jeder SMS stellen wir Big Data einen unserer Freunde vor. Die Wahrheit über uns entsteht in diesen Daten. Diese Wahrheit in Erfahrung bringen können unsere Geräte nicht. Das können nur die Geräte in den Data Centern.

Es würde uns auch nur wenig helfen, wenn wir unsere Daten wüssten. Der Wert dieser Sammlungen liegt im Wissen um die Verbindungen der Menschen untereinander. “What actually matters is how the people are connected together by the machines and how, as a whole, they create a financial market, a government, a company, and other social structures.” sagt Alex Pentland. “We’re going to end up reinventing what it means to have a human society.” Die menschliche Gesellschaft wird neu erfunden, von denen, die über die Daten herrschen. Alex Pentland ist zuversichtlich. Die meisten Leute mit denen er in Davos geredet hat, sagt er, “are advocates for the poor”, es gäbe dort ein extrem starkes egalitäres Element. Vielleicht waren sie auch einfach nur freundlich zu ihm.

Die Erfahrung zeigt aber, dass auch die weltweite Oberklasse, die sich alljählich in Davos trifft, hauptsächlich ihre eigenen meist finanziellen Interessen verfolgt. Die Gestaltung unserer Zukunft dürfen wir denen nicht überlassen. Schon gar nicht die Herrschaft über die Daten, die unsere Regierungen mit unseren Steuern finanziert über uns haben sammeln lassen. Diese Daten sind unser Eigentum.

Wenn geheime Dienste und private Monopole die menschliche Gesellschaft neu erfinden, werden sie uns nicht fragen. Sie kennen uns ja schon. Wir werden ihre Pläne auch nicht erfahren, weil geheim und privat. Wir wären dann auch keine Knechte mehr. Mit Knechten muss man reden. Wir wären, um in diesem Bild zu bleiben, Vieh.

20130808 Korrektur:
Da ist mir aber ein blöder Rechenfehler unterlaufen. Ein Mobiltelefon überträgt 13,5 KiloBit pro Sekunde, das sind rund 1,7 kiloByte. Multipliziert mit den 31,5 Millionen Sekunden eines Jahres sind das rund 50 GigaByte. Mal zehn Milliarden Handys ergibt 500 ExaByte. Der NSA-Datenspeicher könnte also von 10 Milliarden Handys nur rund zehn Jahre lang Tag und Nacht den Ton abspeichern.